Judenhass, Schwurbler und Esoteriker: Evangelische Gemeinden auf Abwegen

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Judenhass, Schwurbler und Esoteriker: Evangelische Gemeinden auf Abwegen

Eine Kirche im Bundesland Hessen hat einen antisemitischen Weihnachtsmarkt veranstaltet. Unsere Recherche zeigt, wie katastrophal die Zustände wirklich sind. Der Fall sagt einiges über die Evangelische Kirche in Deutschland aus.

Statt Besinnlichkeit und Glühweinschwips gibt es nach einem Weihnachtsmarkt in Darmstadt ordentlich Zoff. Die Jüdische Gemeinde Darmstadt hat Strafanzeige gegen die lokale Michaelisgemeinde gestellt, und die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat sich der Anzeige in einer bemerkenswerten Form von Krisenmanagement angeschlossen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Die Gemeinde nämlich hatte den Weihnachtsmarkt am 14. und 15. Dezember veranstaltet, und zwar mit einer Gruppe namens «Darmstadt 4 Palestine». Der Markt geriet zum Hamas-Propaganda-Fest. Das Zeichen der Terrororganisation Hamas, ein rotes Dreieck, und der Slogan «From the river to the sea», der die Vernichtung Israels einfordert, wurden als Plätzchen und Mitbringsel angeboten.

Ein Weihnachtsmarkt ist ein Symbol deutsch-christlicher Freundlich- und Gemütlichkeit, ein Ort der Nächstenliebe und eine winterliche Oase in den Städten mit Nussknackern, Nikolaus, Plätzchen, Glühwein und mit Namen beschrifteten Tassen. Wie kann es sein, dass eine solche Veranstaltung zu einem Ort des Hasses gegen Juden wird?

Terrorsymbolik auf dem Weihnachtsmarkt

Damit Terrorsymbolik auf einem Weihnachtsmarkt landen kann, müssen Dinge über einen langen Zeitraum schiefgelaufen sein, Entscheidungsträger blind oder mit völlig falschen Werten ausgestattet sein. Ein Milieu muss sich ausgebreitet haben, das die Rahmenbedingungen für den Tiefpunkt schafft und ihn so ermöglicht.

Deshalb ist diese Recherche nicht nur eine über die Michaelisgemeinde in Darmstadt, sondern auch eine, bei der man Pars pro Toto vieles über die Evangelische Kirche in Deutschland lernt wie auch über ein Milieu, das in der Kirche dominant ist, das die Gottesdienste gestaltet und die Gemeinden prägt. Der Zustand der Gemeinde lässt Rückschlüsse auf das System zu, in dem er geschehen konnte.

Bereits die öffentliche Entschuldigung des Pfarrers der Michaelisgemeinde, Manfred Werner, die doch eigentlich den Schaden begrenzen soll, spricht Bände.

Der Pfarrer schreibt, er habe von den «Symbolen, welche die Grenzen der Tolerierung überschreiten» vorneweg nichts gewusst. Er habe auch nichts ahnen können, denn: «Mir wurde zugesichert, dass die verschiedenen Menschenrechtsgruppen auf verschiedene Weise auf die Kultur und das Leid von Menschen in Israel und Palästina hinweisen wollen.»

Kann diese Entschuldigung inhaltlich stimmen? Bereits die Einladung zum Weihnachtsmarkt las sich als kleiner Aufsatz über das «Leid in Gaza». Sie ist auf der Website der Kirche gelöscht, aber man findet sie noch im Internet-Archiv. Weder Israel noch der Terror gegen Israel noch der weltweit grassierende Judenhass werden erwähnt.

Besonders sticht ein Satz in der Einladung hervor: «Palästina ist ein multireligiöses Land, in dem nicht nur muslimische, sondern eben auch jüdische und christliche Menschen zu Hause sind.» Er lässt sich nur so interpretieren, dass Israel eigentlich Palästina ist, denn nur dort leben jüdische und christliche Menschen. In dem Fall wäre Israel hier – auf der Website einer deutschen Kirchengemeinde – das Existenzrecht abgesprochen; Israel wird zu «Palästina» gemacht. Eine andere Auslegung, nämlich dass die palästinensischen Gebiete als Heimat der Juden gemeint sind, ist so unsinnig, dass sie auszuschließen ist.

Gemeinde stellt Buch von Israel-Hasser vor

Der Weihnachtsmarkt wurde an unterschiedlichen Stellen als «antikolonialistischer Weihnachtsmarkt» angekündigt, Israel kommt demnach die Rolle einer Kolonialmacht zu; das ist politisch und historisch inkorrekt und entspricht dem Narrativ radikaler Israel- und Judenhasser. Der Pfarrer wird in der Einladung selbst erwähnt und angekündigt. All dies spricht dafür, dass die Entschuldigung nicht so wahrhaftig ist, wie man es von einem Pfarrer erwarten kann.

Der Gemeindepfarrer belässt es nicht bei der Verteidigung. Für eine Entschuldigung eher untypisch, geht er auch zum Angriff über, und zwar auf einen Journalisten, der es gewagt hatte, die Terrorverherrlichung auf dem Weihnachtsmarkt öffentlich zu machen: «Das Vorgehen des Journalisten, der diese Symbole skandalisierte, weise ich zurück. Ich hätte mir den Dialog mit ihm gewünscht.»

Der Satz des Pfarrers spricht Bände: Die Symbole – mutmasslich strafbare Zeichen der Volksverhetzung – sind demnach womöglich gar nicht so schlimm gewesen – ein Journalist hat sie «skandalisiert». Statt «den Dialog» zu suchen. Für die Kontrollfunktion der Medien hat der Kirchenmann offenbar kein Verständnis.

Dafür, dass der Pfarrer und sein Team die Hamas-Abzeichen in Wahrheit nicht weiter schlimm fanden, spricht einiges. Kurz bevor der Weihnachtsmarkt stattfand, war Ende November Johannes Zang in der Gemeinde zu Gast. Er ist der Autor des Buchs «Kein Land in Sicht? Gaza zwischen Besatzung, Blockade und Krieg».

Das Buch ist in weiten Teilen eine Rechtfertigung des Hamas-Massakers vom 7. Oktober an Israeli; es stellt das Ausmaß und teilweise die sexualisierte Gewalt an dem Tag gegen die Opfer weitgehend infrage und insinuiert bereits durch seine Aufteilung, aber vor allem durch seinen Inhalt, dass das Massaker nicht so schlimm wie in den Medien dargestellt und vor allem zu rechtfertigen sei. 160 Seiten befassen sich mit Gaza, unter anderem ausführlich selbst mit kleinsten Themen, wie dem, dass israelische Behördenformulare für die Bewohner Gazas schwer auszufüllen seien. Dann folgen lediglich zehn Seiten über das Massaker am 7. Oktober, dann wiederum 75 über «Israels Krieg».

Von den zehn Seiten über das Massaker befassen sich fünf damit, dass Israel hätte gewarnt sein müssen, und zwar letzten Endes, so weitgehend die zusammengefasste Logik des Buchs, weil das Land die Folter-, Mord- und Vergewaltigungsexzesse selber provoziert hat. Die zweieinhalb Seiten zum Massaker selbst stehen unter der Überschrift «Was passierte am 7. Oktober?». Sie berichten ernsthaft vor allem darüber, welche Nachrichtenseiten in Deutschland am schnellsten informierten. Von Folter, Vergewaltigung, den Entführungen in den Gazastreifen, den Morden an Kindern und Familien, dem schieren Terror, erfährt der Leser an dieser Stelle nichts.

In weiteren Kapiteln mit den Titeln wie «Verübte die Hamas das Massaker am 7. Oktober allein?» und «Welches Ausmass hatte die sexualisierte Gewalt am 7. Oktober?» wird die Verantwortung der Hamas kleingeredet, und die massenhaften Vergewaltigungen werden infrage gestellt.

In diesem Buch, das in der Michaelisgemeinde in Darmstadt behandelt wird, ist es, als würde es die Videos nicht geben von den entführten Israelinnen mit den blutbefleckten Hosen, als wäre Shani Louks entblösster Körper nie unter dem Jubel Tausender durch Gaza geschleift worden, als wären nicht Geiseln zu Tode gefoltert worden, als wären nicht noch immer Israeli in Gaza gefangen. Ist das die christliche Nächstenliebe?

Das Buch, das die Michaelisgemeinde empfiehlt, wird auch von Arn Strohmeyer gelobt, einem Bremer Journalisten, der immer wieder von unverdächtiger Seite als Antisemit kritisiert wird. Zu Wort kommen vermeintliche Experten, die seit Jahren – um es zurückhaltend auszudrücken – als einseitige Kritiker Israels bekannt sind, wie Rupert Neudeck, der Israel mit Nazideutschland verglich, oder Ilan Pappe, ein Israeli, der die Hamas verteidigt.

Heilpraktikerin diffamiert ukrainische Soldaten

Ein Professor, der am Rückzugsort der Hamas – in Katar – lehrt, darf erklären, dass die Meinung, wonach die Hamas-Charta von 1988 zur Vernichtung Israels oder der Juden aufrufe, «nicht haltbar» sei. Das Dokument beschreibt wörtlich eine Zukunft, in der selbst Steine und Bäume Muslimen mitteilen, wenn sich Juden hinter ihnen verstecken, so dass die Juden ermordet werden können. Israelisches, jüdisches Leid kommt in dem Werk kaum vor.

Empfohlen wird den Gemeindemitgliedern in Darmstadt auch ein Werk der Autorin Gertrude Croissier, einer Heilpraktikerin, die nach «drei Jahren allein und abgeschieden in einer Hütte auf einer griechischen Insel» mittlerweile auch Bücher schreibt. Ihr jüngstes widmet sie unter anderem «ukrainischen Kriegsdienstverweigerern», die es «vorziehen, lieber Fremde zu sein als Schuldige». Als wären die Verteidiger, die die russischen Angreifer zurückschlagen, die die Zivilbevölkerung vor Putins Folterknechten schützen, «schuldig», weil sie die Arbeit machen, die sie machen.

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau reagierte auf eine Anfrage zu verschiedenen Aspekten in diesem Artikel nicht.

Im Februar wird dann in der Michaelisgemeinde ein Redner Oman preisen, ausweislich der Einladung als «ein Sultanat der Neuzeit, ein arabisches Land, das unsere Vorurteile nicht erfüllt». Oman ist kein reiner Terrorstaat wie manch andere arabische Länder, aber ein streng muslimisches Land, in dem die Scharia die Grundlage der Gesetzgebung bildet.

Den Christen in Darmstadt wird mehr geboten als Politik. Im kommenden Jahr kommt noch ein oder eine «Dr. Kia» vorbei, um vor «elektropathologischen Frequenzen» zu warnen. Und mehrmals die Woche finden Yogakurse statt; Yoga ist deutscher Alltag, aber genau genommen eine indische, hinduistisch geprägte Philosophie, die mit der evangelischen Kirche so viel zu tun hat wie Fridays for Future mit dem Porsche 993.

Natürlich erlaubt die Michaeliskirche allein kein Urteil über den Zustand der ganzen protestantischen Kirche zu fällen. Aber Äusserungen der Mitglieder des Kirchenvorstands zeigen die Sympathie für bekannte Köpfe der Institution wie Margot Kässmann. Die prominente Protestantin legt das christliche Streben nach Frieden so aus, dass Israel keine Waffen mehr geliefert werden sollen. Für das ständig attackierte Land wäre das schnell das Ende seiner Existenz. Die «friedensbewegte» Kässmann ist fest verankert in dem Milieu, das in Darmstadt auftritt und Weihnachtsmärkte organisiert.

Alt-links und grün grundiert

Die sogenannten Friedensbewegungen – die mit ihrer Argumentation in Wahrheit den Kriegstreibern dieser Welt einen Gefallen tun – zeigen sich auch auf den Kirchentagen; ebenso der Hang zur Esoterik, zur altlinken Israel- und USA-Feindlichkeit und die naive Zuneigung – die häufig als Toleranz getarnt ist – zu muslimischen und selbst islamistischen Bewegungen.

Dergestalt alt-links und grün grundiert hat sich die evangelische Kirche auch einem jüngeren Zeitgeist geöffnet: zum Beispiel in der St.-Johannes-Kirche in Köln, in der nachts queere Partys stattfinden, also primär Partys für Menschen, die nicht heterosexuell sind und sich nicht als Mann oder als Frau definieren. Der Pfarrer präsentiert seine Arbeit als «Kirche with a twerk», also Kirche mit sexuell provozierendem Wackeln des Pos. Passt das zur Botschaft Gottes?

Was man allgemein weniger findet – und hier zählt auch die anekdotische Evidenz privater Gottesdienstbesuche: Feier der Sakramente, Verkündung des Wortes Gottes, Gebet und Anbetung, Verkündigung von Segen, Bekenntnis und Vergebung, Liturgie, Feierlichkeit, Ritual und Ästhetik.

Im vergangenen Jahr schrieben die evangelischen Landeskirchen einen negativen Rekord. Nur noch 22 Prozent der deutschen Bevölkerung gehören ihnen an. Pro Jahr treten mittlerweile regelmässig über eine halbe Million Menschen aus.

Yoga gibt es eben auch woanders, Powackeln auf Instagram, Queer-Partys in jedem x-beliebigen Klub, Friedensbewegungen à la Croissier und Zang bei Sahra Wagenknecht und der AfD – und Hass auf Juden und Israel ist ohnehin Alltag in Deutschland. Für all das braucht kein Mensch die Kirche.

Quelle: NZZ

Redaktion

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