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Empfindsamkeit statt Kunstfreiheit: Wie das Theater dem Zeitgeist und Hypermoralismus erliegt

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406 Wörter, 2 Minuten Lesezeit.

Es ist ein trauriges Zeichen unserer Zeit, dass das Theater, einst ein Ort freier Rede, Provokation und intellektueller Reibung, heute offenbar lieber vor der Empörungskapelle des Zeitgeistes in die Knie geht, als seinem eigentlichen Auftrag nachzukommen: der Kunst die Bühne zu überlassen, nicht der Gesinnung.

Empfindsamkeit und Toleranz


Dass ein Künstler nach seinem Auftritt ausgeladen wird, weil er es wagt, die Überempfindlichkeiten unserer Gegenwart zu spiegeln, ist nicht nur ein Armutszeugnis für jene Institution, die sich noch „Theater“ nennt, sondern Ausdruck eines breiteren gesellschaftlichen Phänomens: des neuen Empfindsamkeitskults.


Wir leben in einer Ära, in der sich moralische Erregung zur Ersatzreligion entwickelt hat. Worte werden nicht mehr nach ihrem Sinn, sondern nach ihrer möglichen Kränkungspotenz bewertet. Ironie wird wörtlich genommen, Satire als Angriff verstanden, und jede Form sprachlicher Direktheit als potenzielles Mikrotrauma gedeutet. Wer noch wagt, deutlich zu sprechen, wird moralisch verurteilt, nicht, weil er Unrecht hat, sondern weil er gegen die Formvorschriften der Sensibilität verstoßen hat.

Moral und Intellekt


Dieser Empfindsamkeitskult ist kein Ausdruck von Humanität, sondern von Hypermoral, einer Zivilisation, die sich im moralischen Spiegel gefällt, während sie intellektuell verkümmert. Er ersetzt Denken durch Gefühl, Diskurs durch Dekorum und Kunst durch Konformität.
Was als „Achtsamkeit“ daherkommt, ist in Wahrheit eine neue Form der Kontrolle: Menschen werden nicht mehr nach ihren Handlungen beurteilt, sondern nach der korrekten sprachlichen Selbstzensur.


Das Theater, das einst eine Bastion der Gedankenfreiheit war, macht sich nun zum Erziehungsinstrument einer kleinbürgerlichen Empfindlichkeit. Ausgerechnet dort, wo Lessing, Brecht oder Dürrenmatt einst den Mut zur Zumutung forderten, herrscht heute die Angst, irgendjemandem weh zu tun. Man zensiert nicht mehr mit Gesetzen, sondern mit Befindlichkeiten.
Man könnte fast lachen, wäre es nicht so tragisch, aber Hallervorden es bereits treffend auf den Punkt gebracht: Wer Goethes „Faust“ heute nach den Maßstäben der Empfindsamkeit liest, müsste ihn verbieten, zu frauenfeindlich.

Wer Walt Disney beim Wort nimmt, müsste die sprechenden Tiere canceln, zu diskriminierend. Und wer Satire nicht mehr versteht, weil sie vermeintlich verletzen könnte, hat vergessen, dass jede Satire nur dort wirkt, wo sie weh tut.
Diese Haltung ist nicht fortschrittlich, sie ist regressiv. Sie führt nicht zu mehr Menschlichkeit, sondern zu sprachlicher Verarmung und kultureller Erstarrung. Wenn Sprache nur noch moralisch korrekt sein darf, verliert sie ihre Kraft zur Erkenntnis. Wenn Kunst nur noch gefällig sein darf, verliert sie ihren Sinn.


Und genau das ist das Kennzeichen des Empfindsamkeitskults: große Worte über Toleranz, aber keine Toleranz für das Unbequeme. Empfindlichkeit ist keine Tugend, sondern vielmehr die Uniform des Kleingeistes.

Yea H Enz

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Redaktion

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1 -Gedanken zu “Empfindsamkeit statt Kunstfreiheit: Wie das Theater dem Zeitgeist und Hypermoralismus erliegt

  1. Auf den Punkt‼
    Unsere Generation war tolerant. Und sie wusste es nicht.
    Ihr habt euch das Fluid Gender und damit die Homophobie ausgedacht.
    Ich komme aus der Generation, die David Bowie, Lou Read, hörte und liebte und sich nie das Problem stellte, was für sexuelle Vorlieben sie hatten.
    Es war uns egal, wir waren zufrieden und selig, weil ihre Musik uns berührte!
    Elton John, Freddy Mercury und George Michael.
    Wir sind auch die Generation, die Led Zeppelin, Deep Purple, Neil Young oder die Eagles liebte. Ohne dass sich je das Problem mit ihren Texten zu stellte, die heute als sexistisch angesehen werden würden.
    Als Boy George ankam, fragten wir uns nicht, ob er Männchen, Weibchen oder beide mag. Wir haben einfach seine Musik genossen.
    Und als Jimmy Sommerville uns seine Geschichte als Kleinstadtjunge erzählt hat, waren wir gerührt und haben mitgesungen. Und es gab keine Gesetze, die uns zwingen sollten, solidarisch zu sein oder zumindest an einem „Zeichen gegen…“ teilzunehmen.
    Es gab keine Androhungen von Sanktionen oder selbsternannte Wächter, die uns zensieren, wenn einmal ein Witz dabei war.
    Alyson Moyet war damals definitiv oversize, aber wunderschön und toll, und niemand dachte, dass sie weniger wert wäre als eine Claudia Schiffer.
    Ich würde gerne verstehen, was in der Zwischenzeit passiert ist, denn meiner Meinung nach haben all diese Zensoren die einzige Wirkung, das zu erzeugen, was sie zensieren. Toleranz wächst niemals aus Intoleranz, sondern Hass und Spaltung!
    Meiner Meinung nach brauchten wir keine Beschränkungen, weil die Erziehung unserer Eltern uns Werte wie Hilfsbereitschaft, Empathie, Nächstenliebe und echte Toleranz vermittelten und Verstöße gesellschaftliche Nachteile mit sich brachten!
    Bis ihr gekommen seid, um uns einen Schuldkult aufzuzwingen und uns so gegeneinander aufzubringen. Das einzige, vor dem ihr Angst haben müsst, das seit ihr selbst. Geht einfach weg oder kommt zur Vernunft!

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